Die neben dem Vorsitzenden Ulrich von Kirchbach aus vier gemeinderätlichen Mitgliedern und sechs fachkundigen Persönlichkeiten des kulturellen Lebens konstituierte Jury würdigt mit der Vergabe des Reinhold-Schneider-Preises 2024 den seit vielen Jahren in Freiburg lebenden, international renommierten Perkussionisten Murat Coşkun.
 
Der 1972 in Ulm geborene Murat Coşkun ist nicht nur als Multiinstrumentalist solistisch und in unzähligen Formationen erfolgreich, sondern auch als künstlerischer Leiter des weltweit bekannten internationalen Festivals für Rahmentrommeln – Tamburi Mundi.
 
Als Dozent für orientalische Perkussion und Rahmentrommeln mit eigener Lehrmethode war und ist Coşkun u. a. an der Musikhochschule Freiburg und an weiteren internationalen Hochschulen und Institutionen in der Schweiz, Spanien, USA, Türkei und im Iran aktiv. Seit dem Wintersemester 2015/2016 lehrt Murat Coşkun als Dozent für Perkussion im neugegründeten Studiengang für Weltmusik an der Popakademie Mannheim und seit 2016 an der Bundesakademie in Trossingen. Er entwickelte eine Lehr-DVD „Finger Dance“, die überaus gefragt ist; auch an der Weiterentwicklung von Spieltechniken und an der Neuentwicklung von Rahmentrommeln, etwa beim Unternehmen „Schlagwerk Percussion“, ist der Musiker beteiligt. Seit Januar 2018 leitet er den von ihm ins Leben gerufenen vierjährigen Rahmentrommel-Lehrgang der Tamburi Mundi Frame Drum Academy.
 
Bereits während und nach seinem Studium der Orientalistik und Ethnologie mit dem Schwerpunkt Musikethnologie an der Universität Freiburg reiste er – mehrfach auch auf Einladung des Goethe Instituts – durch viele sehr unterschiedliche Länder West- und Osteuropas, in die Mongolei, USA, Vietnam, Kambodscha, Indonesien, Laos, Korea, Taiwan, Marokko, Algerien, Tunesien, Türkei, Syrien, Iran, Irak, Israel. Seine Sprachkenntnisse, u. a. in Arabisch, Persisch und Russisch ermöglichten den direkten Kontakt und vor allem die Anknüpfungen über die Musik waren ausschlaggebend für den außergewöhnliche musikalischen Werdegang Coşkuns.
War das Trommeln für Coşkun in jungen Jahren zunächst nur ein Hobby, erweiterte und perfektionierte er über die Jahre des Übens und des intensiven Erfahrungsaustauschs Technik, Stil und Repertoire zusehends und gilt als einer der international profiliertesten Rahmentrommler.
 
Die Jury zeichnet Murat Coşkun insbesondere für seine künstlerische Exzellenz aus, für seine Innovation als Interpret durch Entwicklung neuer Techniken. Feinfühliges Fingerspiel und raffinierte Rhythmik kennzeichnen seinen Stil und er wird für seine Kompositionen, Arrangements und virtuosen Improvisationen sehr geschätzt. Mit seinem reichen musikalischen Erfahrungsschatz hat Murat Coşkun Ansätze kreiert, um traditionelle Klänge in moderne Musikgenres zu integrieren.
Murat Coşkuns musikalisch-künstlerische Spurensuchen sind auf höhstem Niveau in unterschiedlichen Bereichen wirksam und münden in beeindruckende Projekte. Er tritt ebenso als Studiomusiker für zahlreiche CD-Einspielungen sowie auch als Komponist bei Theaterprojekten in Erscheinung und ist an TV- und Rundfunkproduktionen beteiligt.
 
Mit seiner langjährigsten Formation FisFüz – Mitte der Neunziger Jahre spontan aus der Taufe gehoben bei der Offenen Bühne im Freiburger Jazzhaus und das Publikum sofort einnehmend– gelangte Coşkun zusammen mit der großartigen Klarinettistin Annette Maye und wechselnden Gastmusikern zu größerer Bekanntheit. Dank eines hochdotierten Preises, der Verleihung des SWR Weltmusikpreis 1998, investierte das Oriental Jazz-Ensemble in eine Infrastruktur, um touren und CDs produzieren zu können, wodurch sich ihre Fangemeinde rasant vergrößerte.
 
Eine besondere, seit vielen Jahren währende Freundschaft verbindet Murat Coşkun mit dem Klarinettisten Giora Feidman, dem Weltstar der Klezmer-Musik, mit dem er zahlreiche Konzertauftritte und CD-Einspielungen zu Gehör brachte. Und ein ebenfalls genialer musikalischer Partner ist der Tuba-Virtuose Michel Godard aus Frankreich.
Zum gefragten Tour-Klassiker wurde die Produktion „Das Fliegende Kamel“ mit dem (Kinderbuch)Autor und Bühnenliebling Paul Maar, musikalisch unterstützt von Murat Coşkun an den Rahmentrommeln und dem ehemaligen Freiburger Stadtrat Ibrahim Sarıaltın mit der türkischen Laute und traditionellem Gesang. Als ein wertvolles Projekt des deutsch-türkischen Kulturdialogs erhielt das Projekt 2013 den „Preis der deutschen Schallplattenkritik“.
Darüber hinaus begeisterte Coşkun mit Orchestern wie den NDR Radiosympho-nikern, dem Tonkünstler Orchester Österreich, als Trio mit dem fünffachen Grammy-Gewinner Glen Velez und Lori Cotler, mit der Pianistin Marina Baranova oder in Allianz mit Enrique Ugarte oder Gianluigi Trovesi.
 
Neben diesen vielen Kollaborationen und Einladungen zu nationalen und internationalen Auftritten und Festivals ist Murat Coşkun ebenso eine feste Größe innerhalb der Freiburger Musikszene: die Zusammenarbeit mit Ensembles wie dem Freiburger Barockorchester, den Freiburger Spielleyt oder dem Freiburger Akkordeonorchester zeugen davon; und auch von seinen stets breitgefächerten stilistischen und musikalischem Zugängen – sei es Weltmusik, Jazz, mittelalterliche Musik, Alte Musik, Neue Musik, Experimentelle Musik oder Crossover. Im Jahr 2004 erhielt Coşkun den ZMF-Preis.
 
In der Corona-Zeit entstand die Idee eines Drum-Mobils, um einfache Steh-Konzerte und Musikerlebnisse an der frischen Luft und ohne großen technischen Aufwand anzubieten. Bei diesem Familienprojekt des „Coşkun-Percussion-Trios“ präsentiert Murat Coşkun mit seinen beiden Kindern Yaschar und Malika in kurzen Mitmach-Konzerten Rhythmen unterschiedlicher Kulturen und gibt dem Publikum mit kleinen Anekdoten einen Einblick in die Vielfalt der Rhythmuswelten. Die ca. einstündige „Wohnmobil-Konzert-Tour" steuert verschiedene Freiburger Stadtteile an und lädt ein zu gemeinsamer Body-Percussion und Rahmentrommeln, die an die Zuschauer*innen verteilt werden.
 
Für die Kulturpreis-Jury ist die Würdigung des umfangreichen und sensiblen Engagements Coşkuns als Brückenbauer zwischen Kulturen und Genres ein sehr wichtiger und zentraler Aspekt. Seine Musik findet nicht im Elfenbeinturm statt, er realisiert unermüdlich kreative und integrative Begegnungen: mit anderen Ensembles, mit der Stadtgesellschaft, zwischen den musikalischen Welten des Orients und Okzidents. Ohne dies explizit zu postulieren, öffnet Murat Coşkun nahbar, uneitel und empathisch weltmusikalische Tore und stärkt die Wertschätzung für unterschiedliche Herkünfte und künstlerische Traditionen.
 
Die Stadt Freiburg kann sich überaus glücklich schätzen, dass Murat Coşkun 2006 das weltweit erste und berühmteste internationale Festival für Rahmentrommeln, Tamburi Mundi, gründete und hier etablierte. Mit dem seither jährlich stattfindenden Festival sowie der kontinuierlichen Entwicklung neuer interdisziplinärer Formate und der Zusammenführung von Musiker*innen und Publikum leistet Murat Coşkun einen ganz besonderen Beitrag zu interkultureller Verständigung und Austausch und ist zu einem echten Musikbotschafter Freiburgs geworden.
 
Nächstes Jahr geht das Tamburi Mundi-Festival bereits in seine 20. Auflage und der künstlerische Leiter und sein Team suchen weiterhin unermüdlich nach neuen Impulsen und Angeboten im Rahmen des anfänglich noch dreitägigen und auf Masterclass-Treffen ausgerichtete, aber schon früh für ein breites Publikum geöffnete eindrucksvolle Programm. Mit Trommelzug durch die Stadt, Familien- und Kinderkonzerten, Kinderkursen und Drumcircles, bei denen neue Instrumente ausprobiert, Spieltechniken vertieft oder erste Trommel-Erfahrungen gesammelt werden können, soll der Zugang niederschwellig bleiben. Ebenso durch kostenfreie Angebote wie Open Stages, Online Frame Drum-Channel, aber auch generell mit sehr niedrigen Eintrittspreisen. 
 
Ein großes Anliegen ist für Coşkun, junge Interessierte und Nachwuchs-künstler*innen künftig noch stärker in das Festivalkonzept zu integrieren. Von dieser Vision zeugen der in den letzten Jahren begonnene Ausbau von Kooperationen, wie etwa der seit 2016 bestehenden mit der Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim; oder Konzerte, die jungen Musiker*innen eine Bühne (zum Experimentieren) bieten, die Verleihung des Tamburi Mundi Awards und des 2021 neu ausgelobten Video Awards zur finanziellen und medialen Förderung junger Trommler*innen wie auch die Vergabe eines Frame Drum Academy-Stipendiums für junge Rahmentrommler*innen.
Die Umsetzung pädagogischer Konzepte geschieht in Kooperationen mit Freiburger Institutionen, Schulen u. Hochschulen wie Pädagogischen Hochschule Freiburg, der Hochschule für Musik, Klong, Museum Natur und Mensch, Carl-Schurz-Haus etc. und im Tamburi Mundi Trommel-Projekt „Kids4Kids“.
Ein weiterer Zukunftsplan Murat Coşkuns ist schon gereift: Perspektivisch soll ein eigenes Tamburi Mundi Jugendfestival entwickelt werden.

Jurybegründung

Murat Coşkun ist nicht nur einer der weltbesten Rahmentrommelspieler, sondern auch Komponist, Arrangeur, Pädagoge an der Pop-Akademie Mannheim – und vor allem musikalischer Brückenbauer. Seine in der Weltmusik verortete Kunst ist immer auf Öffnung und Grenzüberschreitung angelegt. Mit seinem 2006 gegründeten Tamburi Mundi Festival, das nächstes Jahr sein 20. Jubiläum feiert, holt er die Welt der Trommeln nach Freiburg: aus der Mongolei und Taiwan, aus Brasilien oder Indonesien. Das ist nicht nur musikalisch aufregend, sondern hat auch eine politische Dimension, etwa wenn er eine iranische Santurspielerin und einen israelischen Trommler auf der Bühne vereint. In Freiburg tritt Coşkun in vielfältigen Konstellationen auf, wie mit dem Freiburger Barockorchester, dem Freiburger Akkordeonorchester oder der Camerata Academica Freiburg. Mit dem Reinhold-Schneider-Preis in der Sparte Musik ehrt die Stadt Freiburg Murat Coşkun für seine musikalische Exzellenz und Innovationsfreude ebenso wie für seine stilistische Offenheit und verbindende Kraft.

Laudatio

Stefan Franzen
Journalist und Autor

Download Laudatio als PDF

 

https://www.freiburg.de/pb/229732.html

„Du musst dich updaten“: Murat Coşkun über Preise, Rassismus und Runterschalten

Interview mit Murat Coskun am 29.08.2024 (von Till Neumann)

Murat Coskun Nimmt sich mehr Zeit als früher: Rahmentrommler Murat Coskun

Der Reinhold-Schneider-Preis der Stadt Freiburg geht 2024 an Murat Coşkun. Der 52-jährige Trommler, Festivalleiter und Pädagoge wird als „Brückenbauer zwischen Kulturen und Genres“ gelobt. Im Interview mit chilli-Redakteur Till Neumann spricht er über das Preisgeld von 15.000 Euro, über Rassismus und über eine neue Ruhe.

cultur.zeit: Murat, was bedeutet dir die Auszeichnung?

Coşkun: Ich musste erst mal gucken, was das für ein Preis ist. Ich habe mich informiert und natürlich tierisch gefreut über diese Wertschätzung meiner Arbeit. Ich mache viel, auch ehrenamtlich, oft auch ohne zu überlegen.

cultur.zeit: Bist du ein Bauchgefühl-Mensch?

Coşkun: Viele Impulse kommen aus dem Bauch. Aber ich überlege dann erst mal: Ist das realistisch? Oder völlig spinnert? Wenn es nicht völlig abwegig ist, dann mache ich das.

cultur.zeit: Ein bisschen abwegig darf es schon sein?

Coşkun: Auf jeden Fall. Aber je erfahrener du bist, desto mehr merkst du: Das funktioniert ja gar nicht. Das ist manchmal schade, weil man diese Gedankenfreiheit nicht mehr so hat. Am Ende setzt man von zehn Ideen vielleicht eine um.

 

Ausgezeichnet: Murat Coşkun hat den Reinhold-Schneider-Preis der Stadt Freiburg bekommen.

Ausgezeichnet: Murat Coşkun hat den Reinhold-Schneider-Preis der Stadt Freiburg bekommen.

 

cultur.zeit: Du wolltest eigentlich in den Kulturbetrieb, vielleicht sogar Botschafter werden. Dann hast du 1998 mit dem Ensemble FisFüz den SWR-Weltmusik-Preis bekommen. Es gab 50.000 Mark. War das der Wendepunkt?

Coşkun: Das Geld hat eine ausschlaggebende Rolle gespielt. Die 50.000 Mark waren Startkapital, das wir in die Band investiert haben.

cultur.zeit: Eine krasse Summe. Ihr habt sie nicht verprasst?

Coşkun: Nein, wir waren Studierende, haben in einer WG gewohnt. 50.000 – das war unvorstellbar viel. Ich bin kein materialistischer Mensch. Deswegen haben wir das ins Projekt investiert.

cultur.zeit: Jetzt bekommst du 15.000 Euro Preisgeld. Was machst du damit?

Coşkun: Ich habe mir noch keine Gedanken gemacht. Ich werde das Geld natürlich auch in ein oder zwei Projekte investieren.

cultur.zeit: Du bist ein international gefragter Musiker, leitest das Tamburi-Mundi-Festival, bist Dozent an der Popakademie in Mannheim. Bist du finanziell sorglos?

Coşkun: Das soll nicht überheblich klingen, aber Sorgen habe ich momentan nicht. Letztendlich muss man trotzdem in neue Projekte investieren. Sonst kann das für einen Künstler den Tod bedeuten. Du musst dich neu erfinden, updaten wie ein Rechner. Du brauchst keinen neuen Rechner, aber zumindest das Gefühl, dass es zeitgemäß ist.

cultur.zeit: Die Reinhold-Schneider-Jury lobt dich als unermüdlichen Botschafter. Woher kommt die Energie, immer noch im Power-Play-Modus zu spielen?

Coşkun: (lacht). Also ich habe mich ein bisschen beruhigt. Die Pandemie kam total rechtzeitig. Ich war an dem Punkt, wo ich gemerkt habe, dass ich mich nicht mehr so gefreut habe auf die kommende Tour. Das fand ich nicht schön. Die Corona-Vollbremsung habe ich mit den Kindern und der Familie genossen.

cultur.zeit: Du reist viel. Wie viele Wochen im Jahr bist du nicht in Freiburg?

Coşkun: Ich war so 150 Tage im Jahr unterwegs. Jetzt ist es weniger geworden. Das ist auch eine bewusste Entscheidung. Man wird älter. Mit 20 bin ich manchmal nachts durchgefahren. Das schaffe ich nicht mehr.

cultur.zeit: Als Kind hast du in der Schule Rassismus erlebt, wurdest Türken-Sau genannt. War das ein Antrieb, Musik zu machen?

Coşkun: Ja, die Erfahrung hat mich sehr geprägt. Sie hat vielleicht auch getriggert, dass ich es ihnen zeigen wollte. Ich habe versucht, immer alles gut zu machen, war eine Zeit lang Klassenbester, Klassensprecher, Schülersprecher, habe die Schülerzeitung geleitet. Ich wollte zeigen, dass ich keine Türken-Sau bin, wollte aber nicht mit Gegengewalt antworten, sondern mit Leistung.

cultur.zeit: Gibt es denn etwas, das noch unverwirklicht ist? Was würdest du gerne machen?

Coşkun: Eine eigene Spielstätte zu haben, das wäre ein Wunsch. Ein Ort, an dem ich selber das Programm mache, selber spiele und wo ich ganz viele einladen kann. Und alles wäre völlig subventioniert. Also ein Ort, wo ich mich einfach nicht ums Geld kümmern muss.

cultur.zeit: Hast du sonst einen Wunsch für die kommenden Jahre?

Coşkun: Von einer Glücksfee würde ich mir wünschen, dass sie es schafft, einfach mal Ruhe auf die Welt zu bringen. Das tendiert gerade alles in eine seltsame Richtung. Ich würde mir wünschen, dass da auch mal einsichtige Leute sind, die was zu sagen haben und die auf den Tisch hauen: So geht es nicht mehr weiter.

Fotos: © Ellen Schmauss, Yoshi Toscani


https://www.chilli-freiburg.de/4musik/du-musst-dich-updaten-murat-coskun-ueber-preise-balance-und-runterschalten/